«Arena» findet nicht in Como statt

Da NZZ.ch, 24 agosto 2016 | Die nächste «Arena» des Schweizer Fernsehens zur Migrationsproblematik findet weder in Como noch in Chiasso statt, sondern in Mendrisio. Migranten kommen nur durch Einspielungen zu Wort.

Die politische TV-Diskussionssendung «Arena» von SRF geht am Freitag im Südtessiner Städtchen Mendrisio über die Bühne. Diese seit zwei Tagen kursierende Vermutung hat Moderator Jonas Projer am Dienstagabend auf Anfrage bestätigt. Als Kulisse für die Sendung dient das neue Rückführungszentrum für illegale Aufenthalter in Mendrisio-Rancate. Es öffnet nächste Woche seine Pforten und wird für eine Nacht jene klandestinen Migranten beherbergen, welche die Grenzwacht meist in Chiassos Bahnhof aufgreift und nicht mehr gleichentags nach Italien zurückbringen kann – italienische und schweizerische Behörden haben unterschiedliche Bürozeiten.

Bisher habe man die Flüchtlingskrise in der «Arena» vor allem auf abstrakter Ebene diskutiert, so Projer. Doch nun entpuppe sie sich als grosse Herausforderung für die Schweiz und besonders für die Behörden und die Bevölkerung im Tessin. Denn das Leiden und die Hoffnungen der Migranten seien nun an der Schweizer Südgrenze unmittelbar zu spüren und zu sehen. Ursprünglich wollte Projer die Sendung im Park beim Bahnhof der norditalienischen Grenzstadt Como stattfinden lassen, um dem Publikum die Präsenz der Migranten vor Augen zu führen.

Kamerateams angepöbelt

In Comos Bahnhofspark biwakieren rund 500 Personen vor allem afrikanischer Herkunft. Sie warten auf eine Gelegenheit, via Chiasso und die Schweiz nach Deutschland sowie Nordeuropa zu reisen. In vielen Fällen haben sie es schon mehrmals versucht, aber ohne Erfolg. Just einige von diesen Migranten hätten während der «Arena»-Sendung vom kommenden Freitag zu Wort kommen sollen. Laut Projer erteilte die Präfektur der Provinz Como dem Vorhaben wegen Sicherheitsbedenken eine Absage. Denn letzte Woche waren offenbar TV-Journalisten und ihre Kamerateams vor Ort angepöbelt und bedrängt worden.

Auch die Idee, die Sendung stattdessen in Chiassos Bahnhof zu realisieren, stiess auf wenig Gegenliebe. Via SBB liess das Grenzwachtkorps mitteilen, ihm erscheine der Standort der Sendung im Bahnhof als «sehr kritisch». Auch hier überwogen also die Sicherheitsbedenken. Projer bedauert, dass in seiner Sendung vom Freitag keine Migranten live zu Wort kommen werden. Daher schickt er ein Kamerateam nach Como, um wenigstens während der Sendung Statements von Migranten einspielen zu können.

Das Rückführungszentrum in Mendrisio-Rancate, das vom Kanton Tessin verwaltet wird, ist aber auch ein passender Ort für die Sendung. Dort werden ab nächster Woche Menschen übernachten, die von Como her kommen und nach ihrer Rücküberstellung an Italien meist von neuem in Como auftauchen – um wieder die Durchreise durch die Schweiz zu versuchen. Und nicht zuletzt soll laut Projer das Stattfinden der «Arena» im Südtessin die Deutschschweiz daran erinnern, wie wichtig das Thema Migration für die Bevölkerung und Politik der italienischen Schweiz ist.

Als Gäste lädt Moderator Projer neben zwei Zürchern, nämlich der freisinnigen Nationalrätin Doris Fiala und ihrem grünen Ratskollegen Balthasar Glättli, auch zwei Tessiner ein. Als kantonaler Justiz- und Polizeidirektor ist der ehemalige Bundesratskandidat Norman Gobbi (Lega) direkt in die Thematik involviert. Er hege den Verdacht, dass man nördlich des Gotthards die eigentliche Dimension der Migrations-Situation an der Südgrenze nicht wahrnehme, so Gobbi. Nun könne man via «Arena» Augenschein nehmen und erkennen, welche Anstrengungen das Tessin zugunsten der ganzen Schweiz unternehme. Die Sendung extra muros sei ein gutes Beispiel für die Umsetzung des Service public.

Kritik wegen Massenabfertigung

Gemäss Gobbi wurde in den vergangenen Tagen das korrekte Handeln der Ordnungskräfte an der Südgrenze, namentlich der Grenzwacht, angezweifelt. Dies im Zusammenhang mit den Bundesgesetzen und internationalen Abkommen, welche die Schweiz zu respektieren habe und es auch tue. Nun sei es Zeit, die Dinge jenseits aller Ideologie ins rechte Licht zu rücken. Offenbar spielt damit der Tessiner Magistrat unter anderem auf die Vorwürfe der kantonalen SP an, in Chiasso fänden unsorgfältige Massenrückweisungen statt, obschon etliche Migranten einen Asylantrag im Sinne gehabt hätten. Gobbi hofft, dass sich die Diskussion in der «Arena»-Sendung auf konkrete Aspekte konzentrieren werde, die sowohl die Migranten wie auch die Behörden beträfen – und nicht auf ideologielastige Demagogie.

Der zweite Tessiner Gast wird der CVP-Nationalrat Marco Romano sein, der auch Mitglied von Mendrisios Exekutive ist. Während der Sendung möchte Romano den Deutschschweizern klarmachen, dass die Grenzregion Mendrisio-Chiasso von den Migranten nunmehr als das Einfallstor in die Schweiz und vor allem nach Mittel- und Nordeuropa wahrgenommen werde. Seine Heimatregion lebe seit Jahren mit dem Phänomen der Migration, das man zu häufig relativiere. Die «Arena»-Sendung stellt in Romanos Augen eine gute Gelegenheit dar, mehr Aufmerksamkeit für das Südtessin hervorzurufen und an die Kantone zwecks grösserer Solidarität zu appellieren. Wäre das Tessin nicht organisiert, hätte die Deutschschweiz heute ein grosses Problem, hält Romano fest.

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