Schweizer Tunnelblicke

Schweizer Tunnelblicke

L’Handelsblatt mi ha intervistato nelle scorse settimane sul tema del risanamento autostradale del San Gottardo. Ecco l’articolo, integrale dove si possono leggere anche le mie risposte.

Der Streit um eine zweite Autoröhre durch den Gotthard entzweit die Schweizer. Es geht um die Unversehrtheit ihres Berges – und um ihre Souveränität. Eine Annäherung an den Mythos Gotthard von Holger Alich.

Es ist ein unwirtlicher Ort, tief unten im Berg. Schmutz klebt auf den einstmals weißen Kacheln.Fahles Neonlicht fällt von
der an ungezählten Stellen ausgebesserten Decke. Unablässig rollen Autos und Laster vorbei, die Wände lassen den Lärm iderhallen.
Der Tunnel rauscht wie ein wütendes Meer. Jürg Röthlisberger machen Lärm und Staub nichts aus. Im dunklen Anzug wirft er sich in Pose, blickt Richtung Italien, dreht sich um die eigene Achse. Der 51-Jährige leitet das Schweizer Bundesamt
für Straßen (Astra), er hat zum Fotoshooting geladen. Denn Röthlisberger ist im Wahlkampf. Für seinen Tunnel. Durch den Gotthard. Es ist eine historische Wahl, die die Schweizer am 28. Februar fällen. Oberflächlich geht es um Baupläne, Teer und Schutt. Man muss aber nicht tief bohren, um zu erkennen: Unterschwellig geht es um innerste Schweizer Befindlichkeiten.
Um die Unversehrtheit ihres Berges. Um ihre Souveränität. Was also, bitte, steht zur Wahl? Der Straßentunnel durch den Gotthard aus dem Jahr 1980, der Göschenen im Kanton Uri mit Airolo im Tessin verbindet, muss saniert werden. Die Regierung will den Tunnel in dieser Zeit sperren – und vorher eine zweite Röhre in das Felsmassiv bohren, um das Tessin während der Bauarbeiten nicht abzuschneiden.
Der Plan stößt auf eine bunt gemischte Gegnerschaft. Ex-Minister, Bau-Ingenieure und Umweltschützer, sogar die „Neue Zürcher Zeitung“, die sich sonst eher staatstragend gibt, protestieren: Das Vorhaben sei zu teuer, obendrein letztlich überflüssig. Tatsächlich sollen Tunnel und Sanierung 2,8 Milliarden Franken kosten. Aber vor allem glauben die Gegner der Regierung nicht, dass sie später beide Röhren mit nur je einer Spur betreiben wird. Sie fürchten Verkehr auf vier Spuren. Und mehr Spuren im Berg heißen mehr Laster im Berg.
Röthlisberger versichert zwar, man könne das durch Verfassung und Gesetz verhindern. Aber: „Was einmal gebaut wird, das wird eines Tages auch genutzt“, warnt Manuel Herrmann. Er trägt Bartstoppel im Gesicht und rote Turnschuhe. Herrmann spricht für die Alpenschutz-Initiative, einen der lautesten Gegner der zweiten Röhre. Ein vierspuriger Straßentunnel wäre ein gewichtiger
Konkurrent für den neuen Gotthard-Basistunnel der Bahn, der im Juni eröffnet (siehe Kasten).
Doch Herrmann hat noch mehr zu sagen: „Warum sollten wir der Europäischen Union gratis eine neue Transitstrecke für ihre Lkws bauen?“
Das ist der kritische Punkt, um den es in den Augen vieler Schweizer letztendlich geht: um ihr Verhältnis zur EU. Dass
sich dieser Punkt nun am Gotthard manifestiert, macht die Sache nicht einfacher, im Gegenteil. Die Zeitungen sind
voll mit Kommentaren, kaum ein Schweizer, der sich noch nicht zum Bauexperten erklärt hat.
Der Gotthard ist eben ein Mythos. Das Massiv zählt zu den Gründungslegenden des Landes, die Region gilt als Wiege der Schweiz. Als die Armee im Zweiten Weltkrieg eine Alpenfestung in das Massiv sprengte, wurde dieses sogenannte Reduit zum Symbol der Eidgenossen zur Verteidigung ihrer Unabhängigkeit.
In gewisser Weise haben es die Schweizer dem Gotthard sogar zu verdanken, dass ihr Land die Wirren der Geschichte berdauerte, wie André Holenstein, Professor für Schweizer Geschichte an der Universität Bern, erklärt:
Der Historiker verweist auf den Wiener Kongress von 1815, als Europa neu geordnet wurde. Die Schweiz bekam die Rolle des neutralen Pufferstaates zugewiesen. Sie sollte kritische Verkehrswege über die Alpen wie den Gotthard kontrollieren.
Zwei Tage dauerte es damals mit der Kutsche von Basel nach Mailand. Schon seit dem 13. Jahrhundert ist das Gotthard-
Massiv passierbar, aber bis ins 19. Jahrhundert ging es nur über den Pass nach Italien. 1882 eröffnete dann der erste Eisenbahntunnel – 15 Kilometer lang und seinerzeit der längste Tunnel der Welt. Es sollte noch mal fast 100 Jahre dauern, bis erstmals Autos durch den Berg rollten. Durch jenen StraßenStraßentunnel, der heute erneut die Gemüter der Eidgenossen erhitzt.
In einem schlichten Besprechungsraum im Betriebszentrum neben dem Tunneleingang in Göschenen ergreift nun Röthlisberger das Wort und eine Fernbedienung. „Fangen wir mit dem Fakt an, den niemand bestreitet“, sagt er und lässt per Knopfdruck die erste
Seite seiner Präsentation zur Tunnelsanierung an die Wand werfen. Eine Million Laster und fünf Millionen Autos im Jahr haben dem Tunnel arg zugesetzt:
Die Zwischendecke muss erneuert werden, ebenso der Fahrbahnbelag, ganz zu schweigen von Lüftung, Rettungstunnel, Stromanlage und, und, und.
Die Arbeiten an sich seien nicht kompliziert, sagt Röthlisberger. „Was die Dinge schwierig macht, ist die Tatsache, dass der Tunnel 17 000 Meter lang ist.“Über 200 Varianten haben seine Leute untersucht, „der zweite Tunnel ist die beste Variante“. Dann seien auch spätere Sanierungen einfacher und billiger.
Vor allem aber gehe es um Sicherheit: Ohne Gegenverkehrt sinke die Unfallgefahr gewaltig. Wer erinnert sich nicht an
die schrecklichen Bilder jener Katastrophe von 2001, als zwei Laster frontal ineinanderrasten und ausbrannten. Innerhalb
von Minuten stiegen die Temperaturen im Tunnel auf 1000 Grad Celsius, elf Menschen starben.
Röthlisberger referiert besonnen, man merkt ihm an, dass er den Vortrag schon oft gehalten hat. Und doch lässt auch den Spitzenbeamten das Thema Gotthard nicht kalt.
Bei Fragen zu der Kritik seiner Gegner wird er schnell emotional. Was ist zum Beispiel mit dem Argument, die Sanierung werde teurer als nötig, weil ja der Tunnel an neue technische Normen angepasst werden müsse? „Unfug.“ Wäre mehr Autoverkehr auf der Schiene keine Alternative zum Bau einer zweiten Röhre? Nein, niemand wolle die Grundstücke für die notwendigen Verladeterminals verkaufen. „Das haben wir alles geprüft.“ Seine Überzeugung, dass der Gotthard eine zweite Röhre braucht, ist so unverrückbar wie das Massiv.
Felsenfest ist auch die Überzeugung von Manuel Herrmann. Zum Gespräch in einem Café in Altdorf, wenige Kilometer vom Eingang zum Straßentunnel entfernt, ist er mit einer dicken Aktenmappe angerückt, gefüllt mit Daten und Zahlen.
Unweit von hier hat man auf einer Brücke eine gute Aussicht auf das Gotthard-Massiv – und die Straße, die sich in das Alpenpanorama frisst.
Herrmann blickt auf die Laster hinab, die unter ihm hindurchrollen. Sie machten aus der Schweiz eine „Transit-Hölle“, warnt seine Initiative. Die Alpenschützer hatten schon 1994 durchgesetzt, Lkw-Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Per Gesetz ist die Zahl der Transit-Laster auf 650 000 begrenzt, aber die Zahl wird längst überschritten.
Wenn Herrmann von der Hölle spricht, hat er allerdings mehr im Sinn als den Dreck und Lärm der Laster.
Herrmann verdächtigt die Regierung, eine versteckte Agenda zu haben. „Die Tunnelnutzung mit vier Spuren kann als Faustpfand in den Verhandlungen mit der EU eingesetzt werden“, vermutet er.
Es gibt ja nicht gerade wenige Streitfragen mit der EU zu klären – man denke nur an jenen Beschluss der Schweizer, die Zuwanderung auch aus der EU wieder zu begrenzen. Die Frage der Tunnelnutzung könnte im politischen Gemenge quasi zum Tausch angeboten werden, fürchtet Herrmann.
Ganz klar: Die Europäer haben ein Interesse an einer problemlosen Passage durch die Schweiz, und ein bilaterales Abkommen verbietet es der Schweiz, die Straßenkapazitäten durch die Alpen künstlich zu beschränken. Allerdings hat die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc der Schweiz in einem Brief versichert, dass es das Abkommen nicht verletzen würde, später beide Röhren mit nur je einer Spur zu nutzen. Die Kapazität des Tunnels bliebe ja im Vergleich zur heutigen
Situation die gleiche.
Doch was ist ein Brief wert von einer EU-Kommissarin, die bei Fertigstellung des Tunnels wohl nicht mehr im Amt ist?
Längst haben sich erfahrene Kämpfer zu den Alpenschützern gesellt.
Auch Thomas Minder sagt: „Solche Zusagen halte ich nicht für sehr belastbar.“ Der Unternehmer, dessen Name in der Schweiz vor allem für Zahnpasta und andere Kosmetikprodukte steht, ist auch Politiker – einer der wenigen, die jenseits der Alpen bekannt sind. Er lancierte die „Abzocker-Initiative“, die 2013 eine Mehrheit fand; öffentlichkeitswirksam unterstützte er auch die europaweit umstrittene Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“.
Seit 2011 vertritt Minder im Ständerat den Kanton Schaffhausen ganz im Norden.
Er befürchtet, dass sich die Schweiz mit dem Bau einer zweiten Röhre gegenüber der EU „erpressbar“ mache. Er entwirft
dafür ganz eigene Szenarien: „Sollte eines Tages der Brenner-Pass zum Beispiel nach einen Erdbeben gesperrt werden
müssen, wird der Druck von der EU massiv werden, alle vier Spuren im Tunnel zu öffnen, um den Alpentransit zu gewährleisten.“
Auch betriebswirtschaftlich hält er nichts von der zweiten Röhre. „Es ist doch finanzpolitischer Unfug, für 1,4 Milliarden Franken einen Standstreifen zu bauen“, empört er sich. Minder ist parteilos, sitzt aber im Parlament bei den Abgeordneten der nationalkonservativen SVP – die wiederum sind für die zweite Röhre. Der Tunnel entzweit politisch Gleichgesinnte, so wie er auch die Fronten zwischen den politischen Lagern verschiebt.
Das beobachtet Norman Gobbi, der von Süden aus auf den Tunnel blickt. Er amtiert im Kanton Tessin als Regierungspräsident, vergleichbar mit einem deutschen Ministerpräsidenten, und wundert sich: „Die Linken, die sonst für eine offene Schweiz und eine Annäherung an die EU plädieren, sind gegen die neue Röhre. Die Bürgerlichen, die eher EU-skeptisch sind wie ich, sind dafür.” Die Schweizer so durcheinander zu bringen, das schafft nur der Gotthard.

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