Bellinzona soll zehntgrösste Schweizer Stadt werden

Bellinzona soll zehntgrösste Schweizer Stadt werden

Da TagesAnzeiger.ch l Die Hauptstadt des Tessins will sich mit 16 umliegenden Gemeinden verschmelzen und ein Gegengewicht zu Lugano setzen.
Es ist ein gigantisches Vorhaben, vielleicht sogar das grösste Gemeindefusionsprojekt, das die Schweiz je gesehen hat. 17 Gemeinden im Bellinzonese sind beteiligt. Kommt es zustande, wird Bellinzona mit 52’000 Einwohnern zur zehntgrössten Schweizer Stadt. Entschieden wird am 18. Oktober. Dann finden die Konsultativabstimmungen statt, zeitgleich mit den nationalen Wahlen.

Um die Bevölkerung vom Projekt zu überzeugen, wirft der Kanton 52,6 Millionen Franken in die Waagschale. «Das Vorhaben ist von grosser strategischer Wichtigkeit, weil das Bellinzonese bisher immer am Rande der Entwicklungen stand», sagt Norman Gobbi (Lega), Direktor des Justiz- und Innendepartements. Der Grund: Im Bellinzonese sind das Kirchturmdenken und die lokale Identität besonders stark verankert. Daran, so meint er, werde aber auch das Fusionsprojekt nichts ändern.

In die Deutschschweiz pendeln

Trotzdem hat das Projekt gute Chancen, realisiert zu werden. Das könnte am Vorgehen liegen. «Der Anstoss zum Projekt kam nicht von Bellinzona als Polstadt, sondern von den Agglomerationsgemeinden», sagt Stadtpräsident Mario Branda (SP), Co-Präsident des Fusionskomitees. Das ist ein entscheidender Unterschied zum Fusionsprojekt von Lugano, wo die Zentrumsstadt mit ihrer Finanzstärke die Nachbarsgemeinden köderte.

Tatsächlich waren es die Gemeinden in der südlichen Agglomeration von Bellinzona, Giubiasco und Sementina, welche 2011 unter dem Motto «Gemeinsam sind wir stark» die Initiative ergriffen. «Wir haben uns gefragt, wie es in der Region weitergehen soll», erinnert sich Giu­biascos Gemeindepräsident Andrea Bersani (FDP), zweiter Co-Präsident im Komitee. Das nördliche Tessin sei traditionell strukturschwach und hinke wirtschaftlich dem Südtessin hinterher. Um das Territorium nachhaltig und sinnvoll zu bewirtschaften, etwa Industriezonen auszuscheiden, brauche es eine einheitliche Sicht. Nur so könne man vernünftig planen und einen kleinen Gegenpol zum wirtschaftlich starken Luganese bilden.

Einen wichtigen Anstoss gab die bevorstehende Inbetriebnahme des neuen Gotthard-Basistunnels im Dezember 2016. «Wir sind die erste Haltestelle im Süden dieses Tunnels», sagt Bersani. In Zukunft sei es möglich, im Bellinzonese zu leben und in der Deutschschweiz zu arbeiten. Doch dafür müsse man gemeinsam planen. Mario Branda betont seinerseits die Vorteile, die eine Positionierung von Bellinzona als biomedizinischem Pol um das Institut für Biomedizin (IRB) im Rahmen einer städtischen Vision bietet.

Die Liste der Fusionsgemeinden ist lange und reicht von Bellinzona als Kantonshauptstadt mit 18’000 Einwohnern bis zum Dörfchen Moleno mit gerade mal 100. Durch die Aufteilung in Quartiere soll garantiert werden, dass alle Gemeinden Mitspracherecht haben. Im anhaltenden Fusionsprozess werden auch die Stimmen aus den Kleinstgemeinden berücksichtigt. «Es ist ein aussergewöhnliches und vorbildliches Fusionsprojekt mit einer innovativen und transparenten Methode», sagt Professor Rainer J. Schweizer von der Forschungsgemeinschaft für Rechtswissenschaft der Universität St. Gallen. Deshalb wurde die «Aggregazione del Bellinzonese» im diesjährigen Demokratiepreis der Neuen Helvetischen Gesellschaft eigens erwähnt.

Hindernis Steuerfuss

Wie bei jedem Fusionsprojekt gibt es auch im Bellinzonese Gegner. So hat sich in Sant’Antonino eine überparteiliche Gruppe gegen die Fusion formiert. Das erstaunt nicht: Sant’Antonino verfügt über eine wichtige Industriezone – und einen Steuerfuss von 65 Prozent. Im Grossbellinzona wird er voraussichtlich bei 90 Prozent liegen.

Wie stehen die Chancen, dass die Fusion zustande kommt? «Ich bin durchaus zuversichtlich» sagt Andrea Bersani. Kommt das Vorhaben in den projektrelevanten Gemeinden durch, dürfte das neue Bellinzona 2017 Realität sein.

(Gehrard Lob)
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Bellinzona-soll-zehntgroesste-Schweizer-Stadt-werden-/story/16922258

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