Rechtspopulisten verteidigen beide Sitze

Rechtspopulisten verteidigen beide Sitze

Da Neue Zürcher Zeitung (foto: Keystone) l Die Tessiner Regierungsratswahlen bestätigen die bestehende Tendenz nach rechts. Die Lega bleibt stärkste Kraft in der fünfköpfigen Tessiner Regierung. Wie erwartet ist der Freisinn mit seinem Angriff auf den zweiten Staatsratssitz der Rechtspopulisten gescheitert.

Im Radrennfahrer-Trikot präsentierte sich ein zurückhaltender Tessiner FDP-Präsident Rocco Cattaneo am Sonntagnachmittag vor den TV-Kameras. Das Bild ist bezeichnend: Der Freisinn, der einst im Südkanton die unbestrittene Leaderposition innehatte, musste einige Gänge zulegen, wollte er gegen die Lega antreten und einen zweiten Regierungsratssitz zurückerobern. Jenen, welchen die Rechtspopulisten der FDP bei den letzten Kantonalwahlen im Jahr 2011 abspenstig machten, womit sie die relative Mehrheit im fünfköpfigen Staatsrat errangen.

Aufgrund technischer Probleme mit beschädigten Wahlzetteln kamen erst am späten Abend die endgültigen Ergebnisse der Staatsratswahlen zustande. Diese gehen als schweizweite Seltenheit noch immer im Proporzverfahren über die Bühne. Punkto Duell des Freisinns mit der Lega zeigten die Resultate schliesslich eine leicht ambivalente Situation: Die Rechtspopulisten können ihre beiden Sessel dank genügend persönlichen Stimmen für ihre Magistraten Claudio Zali (83 307 Stimmen) und Norman Gobbi (73 540 Stimmen) im Staatsrat halten, verlieren aber spürbar an Wählerstimmen (27,7 Prozent, 2011: 29,8 Prozent).

Lega leidet wegen SVP
Besonders auffällig ist der Verlust von Wählerstimmen für die Lega ausgerechnet in ihrer Hochburg Lugano (5,6 Prozent weniger auf 30,8 Prozent). Der kantonsweite Rückgang dieser Stimmen erfolgte vor allem zugunsten des neuen Rechtsblocks namens La Destra, der unter Führung der SVP steht und der Lega im Gegensatz zu 2011 die Unterstützung versagte. Er konnte dadurch deutliche 4,5 Prozent aller Tessiner Stimmen auf sich vereinen und entzog wohl auch der CVP (ihr Staatsrat Paolo Beltraminelli erhielt 45 597 Stimmen) und der SP (43 694 Stimmen für Regierungsrat Manuele Bertoli) etliche Voten, da beide Parteien deutlich schlechter als erwartet abschnitten (CVP 17,5 Prozent; 2011: 19,9 Prozent; SP 14,8 Prozent, 2011: 16,3 Prozent). Die Grünen wiederum, die sich populistisch geben und gerne Themen rechts der Mitte pflegen, legten auch diesmal zu (6,6 Prozent), aber überraschenderweise nur sehr wenig (2011 gewannen sie 4 Prozent mehr Stimmen und kamen auf 6,1 Prozent). – Insgesamt bestätigen die diesjährigen Tessiner Regierungsratswahlen die bestehende Tendenz nach rechts. Interessant ist ausserdem, dass die FDP nach einem parteiinternen knappen Schlussspurt zwischen Luganos Stadtrat Michele Bertini und FDP-Grossratsfraktions-Chef Christian Vitta mit Letzterem (62 641 Stimmen) nur einen Staatsratssitz besetzt, aber mit 26,3 Prozent Wählerstimmen gegenüber 2011 immerhin um 1,3 Prozent zugelegt hat – der Rechtsblock konnte dem Freisinn also wohl nur wenige Stimmen wegschnappen. Offenbar schätzen die Wahlberechtigten an der FDP das wiederbelebte Prinzip der schonungslosen Offenheit wieder mehr, dulden aber weiterhin den wenig nützlichen Regionalismus, für welchen die Lega steht und welcher die Entwicklung des Südkantons dank engerem Zusammenwirken mit Bern hemmt. Insgesamt wurden 16,11 Prozent leere Wahlzettel eingereicht, was die deutlichen Stimmenverluste teilweise erklärt. – Erst im Laufe des Montags werden die Ergebnisse der Grossratswahlen bekannt. Hier zeichnet sich ein veritables Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen FDP und Lega ab.

Briefwahl bereitet Sorgen
Apropos Briefwahl: Diesbezüglich sorgte in den Reihen des Freisinns einer seiner Grossratskandidaten für Konsternation. Zwei Tage vor dem Wahlsonntag begann die Tessiner Staatsanwaltschaft gegen Michele Kauz wegen Verdachts auf Wahlbetrug und Stimmenkauf zu ermitteln. Er soll via Facebook einer Grossratskandidatin der Grünen eine Fotografie zugeschickt haben, auf welcher ein Stoss Wahlzettel abgebildet ist. Dies seien die Stimmen, die er zu ihren Gunsten bereithalte, habe Kauz unter das Bild geschrieben. Davon erfuhr Grünen-Koordinator Sergio Savoia und meldete die Angelegenheit der Staatsanwaltschaft. Den Medien erklärte Kauz, er habe lediglich Verwandten und Freunden beim Ausfüllen der Wahlzettel geholfen und Empfehlungen abgegeben. Die Unterlagen seien nicht in seine Obhut übergegangen; die Betreffenden hätten die Wahlzettel selber abgeschickt. Savoia befürchtet, dass es sich um keinen Einzelfall handelt und die Kantonalwahlen womöglich annulliert werden müssen.

Die Briefwahl hatte bereits vorher für Schlagzeilen gesorgt. Es waren drei Anzeigen auf der Site eines Tessiner Online-Basars aufgetaucht, in denen unterschriebene, aber nicht ausgefüllte Wahlzettel feilgeboten wurden. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, hat sie in diesem Zusammenhang gegen sieben Personen ermittelt. Dank ihrem Eingreifen konnten die Betreffenden keine Wahlzettel verkaufen, sondern reichten sie ordnungsgemäss ausgefüllt selber ein. Übrigens hat der Kanton Tessin die Briefwahl erst heuer eingeführt – und ist damit das Schweizer Schlusslicht.

NZZ, 20.04.2015, Peter Jankovsky

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