Tessiner stimmen über «Burka-Verbot» ab

Tessiner stimmen über «Burka-Verbot» ab

Die kantonale Volksinitiative zum Vermummungsverbot hat gute Chancen auf Annahme. Das Gesicht im öffentlichen Raum zu verhüllen, soll verboten werden. Dies fordert eine Tessiner Volksinitiative, über welche nun die Stimmberechtigten befinden. Sollte sie durchkommen, wäre es eine nationale Premiere.

«Guastafeste», auf Deutsch Spielverderber: So nennt der Tessiner Ex-Journalist und Lokalpolitiker Giorgio Ghiringhelli seine Bewegung und auch sich selbst. Der 61-jährige politische Quertreiber aus Losone, der sich oft der Lega und der SVP annähert, ist auf die Lancierung von Vorstössen und Referenden erpicht. Im Jahr 2010 reichte er erfolglos beim Kantonsparlament eine Petition ein, um das islamische Kopftuch und den Schleier in den Schulen verbieten zu lassen. Im März 2011 erfolgte der Paukenschlag: Innert Monatsfrist hatte er fast 12 000 Unterschriften für eine Volksinitiative gesammelt (10 000 wären nötig gewesen), die ein Vermummungsverbot im öffentlichem Raum fordert. Damit verbunden ist der Zusatz, dass keine Person aufgrund ihres Geschlechtes gezwungen werden darf, das Gesicht zu verhüllen. Weil Ghiringhelli das Verbot in der Kantonsverfassung verankert sehen will, findet am 22. September eine Volksabstimmung statt.

Burka im Tessin irrelevant

Ghiringhelli gibt gerne zu, die Burka (mit Augen-Gitter) und den Nikab (lässt die Augenpartie frei) im Visier zu haben. Daher spricht der Volksmund vom «Burka-Verbot». Aber ist dies im Tessin ein Thema? Im Südkanton mit seinen 330 000 Einwohnern und 5000 Muslimen lassen sich Frauen mit Burka oder Nikab an einer Hand abzählen, wenn überhaupt. Vielleicht trifft man einige verhüllte Frauen als Touristinnen in Lugano an. Repräsentanten der im Tessin lebenden Muslime betonen denn auch, das Thema Burka sei irrelevant.

Das weiss Ghiringhelli sehr wohl. Er schielte beim Entwurf seiner Initiative nach Frankreich, wo seit April 2011 die Totalverschleierung verboten ist. Die Initiative solle präventive Wirkung haben, erklärt der selbsternannte «Spielverderber». Zum einen, um Zustände wie in Frankreich mit seinen mehr als 2000 Burka-Frauen, die überdies von den männlichen Familienmitgliedern geknechtet würden, zu verhindern. Unterstützung erhält Ghiringhelli von der Tessiner Ex-FDP-Regierungsrätin Marina Masoni, die im Zeigen des unverhüllten Gesichtes einen des Schutzes würdigen Grundwert der westlichen Gesellschaft sieht. Weiter soll das Vermummungsverbot laut Ghiringhelli fundamentalistische Islamisten vom Tessin fernhalten. Drittens sieht Ghiringhelli einen grossen Nutzen punkto Hooligans und randalierender Linksaktivisten.

Letztgenanntes Argument macht sich die Tessiner Regierung zu eigen, nachdem sie den Inhalt der Initiative anfänglich abgelehnt hatte. Sie hat mit dem Kantonsparlament – die SP-Fraktion enthielt sich der Stimme – einen Gegenvorschlag erarbeitet. Gemäss diesem soll das Vermummungsverbot lediglich als Verordnung ins kantonale Gesetz zur öffentlichen Ordnung integriert werden. Besagtes Verbot würde zur Erhöhung der Sicherheit bei Sportveranstaltungen oder Demonstrationen beitragen und die Arbeit der Polizei erleichtern, sagt der Chef des Tessiner Justiz- und Polizeidepartements, Norman Gobbi (Lega). Zudem könnte das Vermummungsverbot als Verordnung sofort in Kraft treten und später an neue Bedingungen angepasst werden. Laut Gobbi sind Ausnahmen vorgesehen, die von religiösen Anlässen bis zu speziellen Arbeitssituationen reichen.

Minarett-Problematik hilft

Dass die Kantonsregierung überhaupt einen die antimuslimische Komponente neutralisierenden Gegenvorschlag ins Spiel brachte, könnte taktische Gründe haben. Angesichts der hohen Unterschriftenzahl sei man sich bewusst, dass Ghiringhellis Initiative gute Chancen habe, meint der Politologe Oscar Mazzoleni. Gemäss seinen Worten bewegt sich die Initiative im Fahrwasser der Minarett-Problematik: Über 68 Prozent der Tessiner Stimmberechtigten hatten die erfolgreiche Anti-Minarett-Initiative unterstützt. Ausserdem hat Ghiringhelli die Lega explizit hinter sich, die zur zweitstärksten politischen Kraft im Kanton aufgestiegen ist und bei Thematiken der nationalen oder kulturellen Identität immer viel Strahlkraft beweist. – Sowohl die Initiative des «Spielverderbers» wie der Gegenvorschlag scheinen auf guten Wegen zu sein. Ähnliche Vorstösse zu Burka- oder Kopftuch-Verboten in Schulen oder in der Öffentlichkeit wurden laut der Schweizerischen Depeschenagentur von den Parlamenten der Kantone Freiburg, Bern, Basel-Stadt, Solothurn, Schwyz und Zürich abgeschmettert. Auch scheiterte die Aargauer Standesinitiative, die ein nationales Vermummungsverbot forderte, im Bundesparlament.

Sollte Ghiringhellis Initiative angenommen werden, müsste sie noch eine Hürde nehmen. Laut Folco Galli, dem Sprecher des Bundesamtes für Justiz, würde das Bundesamt beurteilen, ob das kantonale Burka-Verbot bundesrechtskonform ist. Danach würde der Bundesrat dem nationalen Parlament beantragen, der Verfassungsänderung zuzustimmen – oder eben nicht.

Auf jeden Fall wäre die Annahme der Ghiringhelli-Initiative eine nationale Premiere. Dies würde im In- und Ausland grosse Debatten auslösen.

NZZ, 13.09.2013 (Peter Jankovsky, Locarno)

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