“Wir sind in dieser Krise zwei Schritte voraus”

“Wir sind in dieser Krise zwei Schritte voraus”

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Staatsrat Norman Gobbi (Lega) will verschärfte Massnahmen beibehalten.

Der Bundesrat wollte sich am Mittwoch nicht festlegen, ob die Kantone mehr Entscheidungsspielraum erhalten sollen. Sie aber fordern dies. Frustriert?

Nein, es ist nur aufgeschoben. Der Entscheid, glaube ich, wird am Freitag in unserem Sinne ausfallen.

Was aber, wenn Bern sich trotz allem anders entscheiden sollte und die Zügel eng hält?
Wir würden den Dialog noch schärfer führen.

Anders gesagt: Sie würden die totale Konfrontation suchen. Das Bundesamt für Justiz hat ja bereits mit einem Rechtsgutachten geantwortet und das Tessiner Vorpreschen als gesetzeswidrig taxiert.
Wir haben diesen Brief zur Kenntnis genommen – mit einem schlechten Gefühl. Und man könnte ja mit einem anderen Rechtsgutachten auf ein solches Schreiben antworten.

Vom Tessiner Sonderweg, Baustellen zu schliessen und über 65-Jährigen den Lebensmitteleinkauf zu verbieten, wollen Sie sich also partout nicht abbringen lassen?
Wir wollen doch alle das Gleiche: die Bevölkerung schützen und möglichst rasch diese Krise über- stehen. Aber Bundesbern und ei- nige Deutschschweizer Kantone sind skeptisch gegenüber unse- ren Massnahmen. Ich verstehe das. Wenn es einen nicht direkt stark betrifft, ist es schwierig zu verstehen.

Aber?
Wir sind der Kanton mit den meisten Corona-Ansteckungen pro 1000 Einwohner, sehr nahe am Krisenherd Norditalien. Wir müssen in Grenzorten wie Chias- so nur rüberschauen und sehen, was läuft: nämlich gar nichts mehr, niente, alles chiuso. Wir sind also in dieser Krise der Deutschschweiz zwei Schritte voraus. Was bei uns passiert, wird spätestens in zwei Wochen auch in der Deutschschweiz sein.

Müsste die Schweiz jetzt nicht geeinter auftreten?
Natürlich! Aber das heisst nicht, dass alle Kantone die gleichen Bedürfnisse haben zum genau gleichen Zeitpunkt. St. Gallen und Tessin zum Beispiel, die Lage ist bei beiden zurzeit ein- fach unterschiedlich.

Wie ist denn die Lage zurzeit im Tessin?
Sie ist ernst. Aber wir sind bereit. Alle halten zusammen.

Das heisst, alle unterstützen den Entscheid der Regierung, die meisten Baustellen zu schliessen und die Wirtschaft noch weiter zu bremsen?
Das war kein Top-down-Ent- scheid, das muss ich klar festhal- ten. Alle Parteien unterstützen uns, auch die Sozialpartner, also die Gewerkschaften, aber auch der Baumeisterverband.

Wenn man sich aber umhört, sind nicht alle Betriebe gleichermassen auf dieser Linie. Öffentlich will sich aber niemand dazu äussern.
Solches ist mir nicht zu Ohren gekommen. Wir wollen aber im Dialog mit allen stehen, mit unseren Leuten. Die Signale, auch von der Bevölkerung sind klar: chiudere, schliessen. Und um zurück zu den Baustellen zu kommen: Es wird für viele Be- triebe immer schwieriger, Mate- rial zu bekommen. Vieles kommt aus Italien, und die Lieferkette reisst langsam ab.

Was können Sie über den seelischen Zustand Ihres Kantons sagen?
Vor ein, zwei Wochen hatten die Leute Angst. Das muss man zu- geben. Nun sind sie ruhiger. Und man darf nicht vergessen, dass die Tessiner daran gewohnt sind, in einem Labor zu leben.

Was meinen Sie mit Labor?
Das Tessin nahm schon oft früh gewisse Entwicklungen vorweg: Lohndumping, die Freizügigkeit. Und nun das Covid.