Verdeckte Ermittlungen für die Verbrechensprävention

Verdeckte Ermittlungen für die Verbrechensprävention

Articolo pubblicato nell’edizione di sabato 22 dicembre 2018 della Neue Zuercher Zeitung

Mit seinem neuen Polizeigesetz reagiert das Tessin auf das schweizweit wachsende Bedürfnis, Straftaten zu verhindern

Kürzlich hat der Tessiner Grosse Rat das kantonale Polizeigesetz um dringend geforderte Elemente erweitert. Dem Beschluss gingen lange Diskussionen im Zusammenhang mit Persönlichkeitsrechten voraus. Doch am Ende entschied das Tessiner Kantonsparlament aufgrund aktueller Entwicklungen bei der Verbrechensbekämpfung, einige Lücken im Gesetz von 1989 zu schliessen. Unter den neuen Befugnissen für die kantonale Polizei stechen präventive Ermittlungsformen wie Observation sowie verdeckte Fahndung und Ermittlung ins Auge. Dazu kommt die Möglichkeit des Polizeigewahrsams von 24 Stunden, der auch für Minderjährige gilt.

Verfolgung mit GPS 
Auf Anfrage betont Staatsrat Norman Gobbi, Chef des Tessiner Justiz- und Polizeidepartements, die Polizei habe nebst der Strafverfolgung auch die grundlegende Aufgabe, die Sicherheit zu gewährleisten – und Verbrechensprävention zu betreiben. Die Zeitung «Corriere del Ticino» zitiert Gobbi mit den Worten, das Schweizer Stimmvolk habe am 25. November den Versicherungsdetektiven potenziell mehr Handlungsmöglichkeiten zugesprochen, als der Tessiner Kantonspolizei bis dato zur Verfügung gestanden hätten. Umso notwendiger erscheine die aktuelle Gesetzeserweiterung im Kanton.

Die Verhinderung von Straftaten wird immer wichtiger. Dies betrifft nicht nur organisierte Kriminalität und Terrorismus, sondern auch Gewalt bei Sportanlässen, Drogen- und Verkehrsdelikte sowie Pädophilie. In diesem Zusammenhang kann die Tessiner Kantonspolizei künftig – und bereits seit einiger Zeit die Kapo der meisten anderen Kantone – Observation und Prävention rechtlich klar abgestützt betreiben. Die Beobachtung von Personen und Sachen im öffentlichen Raum, zu dem natürlich auch das Internet gehört, wird mittels Abhörgeräten, Videoaufnahmen und weiterer Registriermassnahmen durchgeführt. Dank der Möglichkeit, Personen und Autos mithilfe von versteckt platzierten GPS-Geräten beobachten zu können, fallen beispielsweise aufwendige Verfolgungsaktionen auf der Strasse weg.

Noch wirkungsvoller als die Observation ist die verdeckte Ermittlung. Diese entspricht in der ganzen Schweiz einem aktuellen Bedürfnis und darf dann zum Einsatz kommen, wenn die bisherigen Untersuchungen erfolglos geblieben sind oder andere Ermittlungsmassnahmen nicht zum Erfolg führen würden. Laut dem Bundesamt für Polizei (Fedpol) zeigt die Erfahrung, dass die Polizei gerade im virtuellen Raum und bei schweren Delikten unerkannt ermitteln können muss, um kriminellen Machenschaften frühzeitig auf die Spur zu kommen.

Der Einsatz von verdeckten Polizeibeamten ohne «Legende», d. h. ohne Tarnidentitäten, sei auf Bundesebene als verdeckte Fahndung bekannt, erklärt Fedpol-Sprecherin Lulzana Musliu. Mit Tarnidentitäten handle es sich um eine verdeckte Ermittlung. Und gemäss der Schweizerischen Strafprozessordnung darf die wahre Identität der Legenden-Träger auch dann nicht preisgegeben werden, wenn sie in einem Gerichtsverfahren als Auskunftspersonen oder Zeugen auftreten.

Eines leuchtet schnell ein: Eine verdeckte Ermittlung spielt besonders bei der Bekämpfung der pädophilen Kriminalität auf Internet-Plattformen eine wichtige Rolle. So muss beispielsweise gemäss dem revidierten Polizeigesetz des Kantons Bern die Kapo die Möglichkeit haben, potenzielle Täter im Netz aufzuspüren und sie zu kontaktieren, bevor es zu einem Delikt kommt. Dabei sollen die ermittelnden Polizeibeamten oder andere Spezialisten gerade in diesem Umfeld mit einer Legende versehen agieren können. Auf solchen Plattformen sind Phantasienamen bzw. Nicknames nämlich die Regel.

Die präventiven polizeilichen Massnahmen müssen separat in jedem Kanton gesetzlich geregelt sein. Denn sie gehen über den Anwendungsrahmen der 2011 in Kraft getretenen Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) hinaus, wie der Tessiner Staatsrat Gobbi erklärt. Laut der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) wurde mit der Einführung der StPO das frühere Bundesgesetz über verdeckte Ermittlungen aufgehoben, das für die Kantone die Rechtsgrundlage in Sachen Tarnidentitäten gebildet hatte. Daher entstand die Notwendigkeit, in den kantonalen Polizeigesetzen entsprechende Regelungen dazu zu erlassen.

Gericht muss Tarnung erlauben
Damals habe die KKJPD einhellig empfohlen, eine Regelung zur präventiven verdeckten Fahndung zu erlassen, sagt Generalsekretär Roger Schneeberger. Gemäss seinen Worten waren sich aber die Konferenzmitglieder uneins, ob auch verdeckte präventive Ermittlungen erlaubt sein sollten. So überliess es die KKJPD den Kantonen, ob sie Ermittlungen mit Tarnidentität zulassen wollten. Falls ja, empfahl die KKJPD, den Deliktskatalog der Schweizerischen Strafprozessordnung anzuwenden und eine richterliche Überprüfung vorzusehen. Als Muster diente die Regelung des Kantons Bern.

Nach Schneebergers Wissensstand haben inzwischen viele Kantone Bestimmungen zur verdeckten Ermittlung in ihre Polizeigesetze aufgenommen. Gemäss einer Liste, die das Tessiner Justiz- und Polizeidepartement führt, sehen lediglich die beiden Appenzell, Baselland und die Waadt weiterhin keine verdeckte Ermittlung bzw. keine verdeckte Vorermittlung vor. Im Tessin hielt man sich mit der Einführung der Tarnidentitäten so lange zurück, weil man einige Klärungen des Bundesgerichts zu den Polizeigesetzen Zürichs und Genfs abwarten wollte. Die präventive verdeckte Ermittlung sei lediglich mit dem Einverständnis des kantonalen Zwangsmassnahmengerichts möglich – so wie es im Übrigen das Bundesgericht verlangt habe, betont Staatsrat Gobbi in diesem Zusammenhang.

Und wie sieht es auf Bundesebene aus? Das Agieren mit Tarnidentitäten ist laut Fedpol-Sprecherin Musliu nur gestützt auf die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO) zulässig, die eine gerichtliche Zustimmung verlangt. Bei verdeckten Fahndungen hingegen genügt eine Anordnung der Staatsanwaltschaft oder gar der Polizei selber. Gemäss Muslius Worten soll die Bundespolizei aber künftig ebenfalls verdeckte Fahnder im Internet und in elektronischen Medien im Vorfeld eines Strafverfahrens – das heisst ausserhalb der StPO – einsetzen können. Dies steht im Zusammenhang mit dem Vorschlag für ein Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus. Das Ziel bleibt stets, Verbrechen und schwere Vergehen im Vorfeld ihrer Realisierung erkennen zu können.

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